Impact-Startup im Fokus: Sarah Grohé von erlich textil im Interview mit Businettes
In 2016 mag das Thema Nachhaltigkeit in der Fashion Branche in Deutschland noch zu einer Nische gehört haben - mittlerweile gehört es zum Mainstream und erlich textil ist darin nicht mehr wegzudenken. Mehr zur Success-Story von erlich textil erzählt von Mitgründerin Sarah Grohé am 11.07. auf der Bühne der Businettes Female Funding Roadshow in Köln!
Sarah Grohé
im Interview mit Businettes
Liebe Sarah, Du warst Anfangs bei der Gründung von erlich Textil die einzige Frau von insgesamt 7 Geschäftspartnern. Was sind deine Learnings aus dieser Erfahrung, die du anderen Gründerinnen mitgeben kannst?
Das ganz große Learning war für mich, mir in der Runde aus vielen großen (keine negative Konnotation hier!) Egos Gehör zu verschaffen. Ich bin grundsätzlich nicht sehr laut und auffällig in meinem Auftreten, je lauter die anderen, desto lieber halte ich mich eigentlich im Hintergrund, fühle mich schnell unwohl. In dieser Runde waren aber das gegenseitige Vertrauen, die gegenseitige Wertschätzung und auch der gemeinsame Spaß an unserer neuen Gründung ausschlaggebend dafür, dass ich mich getraut habe, auch mal laut(er) zu sein, als es mir eigentlich leicht von der Hand geht. Wir haben gemeinsam tolle Aha-Erlebnisse gehabt, ich habe in einem geschützten Raum ‚üben‘ können und meine Mitgründer lernen dürfen, wie ein Arbeiten auf Augenhöhe geschlechterunabhängig funktionieren kann. Teils haben wir uns diese Erkenntnisse selbst erarbeitet, aber teils auch mit Hilfe von Coaches, was ich absolut empfehlen würde, egal in welcher Konstellation gegründet wird. Es wird ganz sicher in jeder Gründungsphase große Herausforderungen mit komplexen Auswirkungen auf die beteiligten Menschen geben, das muss kein Team, erfahren oder nicht, alleine stemmen.
erlich textil hat 2022 den Ritterschlag überhaupt erteilt bekommen: Deine Firma wurde von der großen Gruppe CALIDA gekauft. Wie kam es dazu und was war für CALIDA der Schlüssel zu diesem Entschluss?
Ganz klar waren aus Sicht der Calida unsere Key Assets das Know-How im Bereich Social Media Marketing und unsere Nachhaltigkeitsansprüche, die wir von Tag 1 der Gründung als Rückgrat des Unternehmens verstehen und für die wir bekannt geworden sind. Der Weg zur Zusammenarbeit war nicht sehr lang – zwischen den ersten Gesprächen und den unterschriebenen Vorverträgen lagen nur einige Wochen. Es hat für uns in den vielen und sehr intensiven Vorgesprächen vieles gepasst, vom Menschlichen über das Kernprodukt bis hin zur Vision der Gruppe, so dass wir uns, nach 7 Jahren Bootsrapping, vor allem davon versprochen haben, mit einem großen Partner an der Seite eine neue Dimension von Professionalität und natürlich ein sichtbar schnelleres Wachstum erreichen zu können.
Was waren die größten Vorteile und Learnings aus der Zeit der Übernahme und Arbeit in einem Konzern?
Wahnsinnig viele. Einige sehr persönliche, andere Textilbranchen-spezifisch, wieder andere allgemeine Business Learnings.
Es war produktseitig natürlich extrem spannend, aus dem reichen Fundus der deutlich länger bestehenden Schwestermarken schöpfen zu können, von Materialresearch bis hin zu Qualitätssicherungsstandards.
Das Arbeitsumfeld in einer so deutlich größeren Organisation war aber ebenso lehrreich, wenn auch nicht immer durchweg positiv. Es war schon ein ‚Culture-Clash‘ ein kleines, immer eigenständig gewesenes Start-Up in einen Konzern zu integrieren, viele Herausforderungen haben wir gemeinsam anfangs unterschätzt. Natürlich gibt es in größeren Unternehmen andere Notwendigkeiten für geregelte Abläufe, Prozesse und Reporting-Strukturen, von denen viele Details für uns auch nach wie vor hilfreich sind.
Vielem davon waren wir allerdings kapazitär anfangs nicht gewachsen und ich habe aus den ersten Monaten der Zusammenarbeit durchaus mitgenommen, schneller zu erkennen, wo als Markenchefin meine Prioritäten (hätten) liegen müssen und was dann eben nach hinten priorisiert werden muss.
Persönlich habe ich über mich selbst gelernt, dass ich durchaus in der Lage bin, dieses andere, größere, vielschichtigere Arbeiten zu managen. Eine spannende Erkenntnis, ich hatte da im Vorhinein durchaus Zweifel.
Meine ganz persönlichen größten Stärken können allerdings im wieder kleinen, eigenständigen Start-Up Umfeld besser wirken und dem Unternehmen vermutlich langfristig auch mehr Wert stiften. Auch das eine gute Erkenntnis für die Zukunft.
Ende 2023 hast du erlich Textil dann mit ein paar deiner Mitarbeitenden von der CALIDA wieder zurückgekauft. Was für ein Schritt! Was hat dich (und euch) dazu bewegt, was waren die (Gegen)stimmen, die in der Zeit aus deinem Umfeld kamen, was hat sich seitdem geändert?
Ja, das war eine aufreibende Zeit! Einerseits hatte sich gegen Ende des 1. Halbjahres in der Gruppe das C-Level und damit die strategische Ausrichtung verändert. Auf der anderen Seite lief es bei uns leider überhaupt nicht wie erwartet und es stellte sich heraus, dass die Synergien, die beide Seiten anfangs gesehen hatten, nicht ganz so schnell umzusetzen waren, wie geglaubt. So mussten und wollten wir den Fokus auf andere Themen lenken, als es die (erneuerte) Gruppen Strategie erfordert hätte. Wir haben also gemeinsam mit dem neuen Vorstand nach der besten Lösung für einen Wiederaustritt aus der Gruppe gesucht und diesen mit dem Management-Buy-Out gefunden.
Gerade mein familiäres Umfeld hatte große Sorge, dass mein Stresslevel damit noch weiter steigen würde, ich habe selbst konkret darüber nachgedacht, ganz aufzuhören und einmal richtig Luft zu holen. Aber ich habe es doch nicht übers Herz gebracht – zu sehr hat mich selbst unser Businessplan für den Neuanfang überzeugt, zu sehr hatte ich Lust darauf, mit einem neuen Team an erfahrenen Menschen das Ganze nochmal zu versuchen. Und heute bin ich extrem happy, dass wir es so lösen konnten.
Mitten im Übernahme-Trouble 2021/2022 war dein Kind gut 2 Jahre alt – also noch ein richtiges Kleinkind. Bei der Rückübernahme 4 Jahre alt. Any Tipps für Mamas, die mit dem Gedanken spielen mit eigenem Business durchzustarten oder einen Pivot hinzulegen?
Holt. Euch. Hilfe. Niemand muss das alleine schaffen, die eigene Gesundheit ist als Mama nicht mehr nur für dich selbst relevant, körperlich aber vor allem auch geistig. Ob im Elternteam, mit Familienunterstützung, Tageseltern oder Kita – ein funktionierendes Sozialnetz war und ist für mich essentiell. Aber das fordere ich auch ein, auch etwas, was ich lernen musste. Kinder sind die Zukunft dieser Gesellschaft, jede:r muss damit zurechtkommen (in meinen Augen), das sie zum Lebens- und damit zum Arbeitsalltag dazugehören. Für mich bedeutet das, ich nehme mir die Flexibilität, meine Arbeitszeiten an mein Leben mit Kind anzupassen. Nicht andersrum. Das ist ein großer Luxus, den wir uns als Gründerinnen und damit als Initiatorinnen einer neuen Arbeitswelt erarbeiten, oft auch, weil bestehende Systeme diese Flexibilität nicht hergeben.
Unsere letzte Frage bezieht sich inhaltlich auf dein Business: Was sind deine wichtigsten Tipps für Gründerinnen, die ebenfalls im Bereich Sustainability gründen?
Ganz wichtig: niemand ist perfekt nachhaltig. Gerade am Anfang (kleine Mengen, wenige Kontakte, begrenztes Budget….) kann es bittere Pillen zu schlucken geben, was Kompromisse bei der Nachhaltigkeit angeht. Hier hat es uns geholfen von Anfang an klar zu kommunizieren, was für uns absolute No Gos sind, aber dann genauso so klar akzeptieren zu können, dass es an anderen Stellen nicht von Anfang an so läuft, wie wir uns das in einer idealen Welt gewünscht hätten.
Ebenfalls ganz wichtig, und das ist eine Neuerung der letzten paar Jahre: Nachhaltigkeit allein ist nicht mehr der USP, auf das sich ein ganzes Geschäftsmodell ‚verkaufen‘ lässt. Heute ist jedes Unternehmen an irgendeiner Stelle ‚nachhaltig‘, zumindest in der Kommunikation nach außen. Trotz aller Bemühungen der EU und der Bundesregierung, Greenwashing einen Riegel vorzuschieben, wird es mit Sicherheit noch lange dauern, bis auch die Konsument:Innen wirklich auseinanderhalten können, was tatsächlich besser ist, als herkömmlich, und was eine reine Story nach außen. Super relevant sehe ich daher die ganzheitliche Geschichte einer Brand, eines Unternehmens: was, mit der selbstverständlichen Nachhaltigkeit im Hintergrund, machen wir neu, anders, besser, innovativer? Auf welchen Teilbereich des großen Begriffs ‚Nachhaltigkeit‘ fokussieren wir unsere Bemühungen? Umweltschutz? Tierschutz? Menschenrechte? Armutsbekämpfung – die 17 Sustainable Development Goals der UN (SDG) können hier eine Menge Inspiration geben, um den eigenen Fokus zu finden.
Danke Sarah für das spannende Interview!
About erlich textil
erlich textil ist aus der deutschen Fair Fashion Branche nicht mehr wegzudenken und ist der Gewinner des deutschen Nachhaltigkeitspreises 2021. erlich textil wurde 2016 gegründet, um Lingerie, Basics und Bettwäsche anzubieten, die sich einfach besser anfühlen - und das in allen Belangen.
Das Ziel: den Wandel in der Bekleidungsindustrie vorantreiben. „Besser anfühlen“ bezieht sich dabei nicht nur auf ein angenehmes Tragegefühl, sondern auch auf die Verwendung nachhaltiger Materialien, auf eine faire Produktion innerhalb Europas und auf die schlichten und zeitlosen Designs. Denn was nicht aus der Mode kommt, das bleibt. Besonderes Augenmerk wird außerdem darauf gelegt, dass die verwendeten Materialien besonders hochwertig und angenehm sind, da erlich Textilien der Haut am nächsten kommen und in direktem Kontakt zu unserem größten Organ liegen.
erlich textil – berührt dich.